Staubwolke am Türkenloch

Staubwolke am Türkenloch

Ende April bin ich in Wien gewesen und habe meiner bezaubernden Freundin Nina geholfen, ihren nur annähernd so bezaubernden Kundinnen tolle Mode zu präsentieren. Außerdem bin ich mit De Rosa ein paar Pässe gefahren. Der bei weitem faszinierendste war das Türkenloch. Zunächst fuhr ich von Furth an der Triesting aus leicht bergan auf gut asphaltierter Straße den Steinwandgraben entlang. Ein schöner Auftakt in einem idyllischen Tal. Noch bevor es richtig in den Berg ging, kam ich an eine Gabelung. Kein Schild sagte mir wo lang, nur die Perspektive war klar: Links auf den Schotterweg oder rechts auf den Schotterweg. Links sah aussichtsreicher aus und so nahm ich den Pass in Angriff. Anfangs erleichterten mir Überreste einer historischen Asphaltdecke den Anstieg, später waren auch diese Reste nicht mehr vorhanden. Im Wiegetritt verlor ich die Bodenhaftung, zum Sitzen war das Türkenloch eigentlich zu steil. Eine leichte Staubwolke saß mir im Nacken und ließ sich nicht abhängen. Ich gab alles auf diesem Pass, der mir wie aus der Radsportgeschichte geschnitzt erschien. Allmählich fand ich meinen Rhythmus: Wenig Steinchen auf dem Weg – vorsichtiger Wiegetritt; viel Steinchchen und felsiger Untergrund auf dem Weg – vorsichtiges Fahren im Sitzen. Meine Oberschenkel jubelten vor Schmerzen. Als hinter einer Kehre die asphaltierte Straße wieder begann, hatte ich im Kopf längst gewonnen: Weder Coppi noch Merckx hatten kontern können!

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Hans Blickensdörfer – Salz im Kaffee

Hans Blickensdörfer – Salz im Kaffee

1978 – Stolberg, Rheinland im Hause der Familie Hermes: Der Radwanderer feiert seine Kinderkommunion. Eine weiße Kerze in der Hand steht er in seinem dunkelblauen Cord-Anzug irgendwo auf dem Donnerberg und weiß noch nicht genau, was auch immer für ein Glück dieser Tag für ihn bereit halten wird. Alle sind sie gekommen, Opa und Oma, natürlich Eltern und Schwestern und sogar Onkel Willi. Hastig trennt er das wertvolle Geschenkpapier von einem viel zu klein erscheinenden Inhalt. Er ist klein und es ist ein Schlüssel. Vater Bruno sieht das Pipi in seinen Augen und greift mit einem Hinweis auf den Schuppen ein. Gerade noch rechtzeitig. Halb schluchzend, halb lachend stürmt der Radwanderer aus dem Wohnzimmer am Sandkasten vorbei in den neben dem Haus gelegenen Schuppen. Es ist ein Prophete, ein echtes Prophete! Metallicgiftgrün, 24 Zoll, 10 Gang! Schon sitzt er im Sattel, jagt die Josefstraße entlang, ignoriert die Vorfahrt an Ilex- und Edelweißweg und fliegt am rechts der Straße gelegenen Spielplatz vorbei. Er versucht die ungewohnt vielfältigen Schaltoptionen mit der für das Fahrradfahren üblichen Tretbewegung in Einklang zu bringen. Schwierig, aber es geht! Schließlich haben sie das alle gelernt – Coppi, Mercx, Thurau und natürlich der unvergessene Bud. 1978 – Stuttgart, Sportredaktion der Stuttgarter Zeitung: Der Redakteur Hans Blickensdörfer hat sein Tagewerk getan. Einen weißen Kuli kauend sitzt er in seinem Bürostuhl und weiß noch nicht genau, wohin ihn die Geschichte mit Bud heute führen wird. Entspannt lehnt er sich zurück. Alle anderen sind bereits gegangen. Das Redaktionsbüro dünstet die Hektik des vergangen Tages. Er zündet sich eine Zigarette an, legt den Kuli beiseite und haut eine erste Idee in die Tasten. Schnell findet er seinen Rhythmus und erstürmt mit Bud den Tourmalet. Und das nach diesem Ruhetag: Zunächst hatten sie Bud des Dopings überführt, ihn von der Tour ausgeschlossen und eine Karriere schien ihr frühes Ende gefunden zu haben. Doch Bud war vor dem Rummel geflüchtet und hatte bei der baskischen Bauernfamilie Iribar Kraft und Mut geschöpft. Schließlich wurde klar, dass Bud betrogen worden war, und als er dem Tross der Journalisten am Abend des Ruhetages gegenüber trat, war er längst rehabilitiert. Dass er den Tourmalet am nächsten Tag nicht bezwingen, sondern erstürmen würde, war in diesen Minuten sonnenklar. Zumindest für Bud, seinen Manager Mercier, den Bauern Iribar und den umtriebigen Journalisten Max Kollmann. Weihnachten 2010 – Fürstenberg, Sauerland im Ferienhaus der Familie Führer: Die bezaubernde Nina hat dem Radwanderer ein Buch geschenkt. „Salz im Kaffee“ von Hans Blickensdörfer. Er kuschelt sich in die kalten Decken des Betts. Der Kachelofen gleich nebenan bollert chancenlos gegen die winterliche Kälte an. Im Dach poltern die Marder. Er schlägt die ersten Seiten auf. Zunächst den Klappentext lesen. Oh, eher wohl ein Jugendbuch! Trotzdem liest er rein, findet seinen Rhythmus und liest durch bis auf den Gipfel. „Salz im Kaffee“ erzählt ein Jahr im Leben von Bud, der eigentlich Ernst Budzinski heißt, Bergarbeitersohn aus Dortmund ist und sich anschickt, als erster Deutscher die Tour zu gewinnen. Hans Blickensdörfer schildert jene Triumphe und Leiden, mit denen der Radsport staubige Landstraßen immer wieder in Schauplätze großer Dramen und Legenden verwandelt. Und er brilliert mit jener pointierten, hautnahen Sprache, die nun dem Radwanderer die weihnachtliche Nachtruhe raubt.. Was soll ich sagen? Ein Buch für all diejenigen, die an heißen Julinachmittagen gerne vor dem Fernseher durch Frankreich reisen. Hans Blickensdörfer – Salz im Kaffee Covadonga Verlag, Liebhaber-Edition (April 2003) ISBN-10: 3936973040 ISBN-13: 978-3936973044

Geräusche für die Zeltenden

Geräusche für die Zeltenden

  1. April 2010: Im einsamen Tal der Maasblette Im Zelt zu übernachten empfinde ich immer wieder als eine tolle Sache. Die frische Luft, der warme Schlafsack und im Idealfall (bei dichtem Zelt) ein sanft auf der Plane trommelnder Regen. Im Normalfall, wenn ich den noch einmal so nennen darf, zeltet man in vertrauter Umgebung, einem Campingplatz, im Garten oder auf einer Party oder Festival. Doch wie fühlt sich das an, wenn man alleine irgendwo in der Natur zeltet? Dann kommen die Geister. Das Trommeln der Regentropfen bekommt eine ganz neue Soundfärbung: Was höre ich dort für ein seltsames Ploppen? Ist es ein Tier, ein böser Feind oder doch der Regen? Die Zeltwand raschelt im Wind oder sind es die Schritte eines Bauern, der mich mit seiner Mistgabel vertreiben will? Schön ist es auch, wenn man direkt neben einem Bach zeltet, zumindest so lange es noch hell ist. In der Stille der Dunkelheit wandelt sich das nette Murmeln des Baches schnell in ein infernalisches Getöse, dessen Deutung offen ist. Die Psyche schaltet um auf pure Selbsterhaltung und ist bereit, sich jedem Feind zu stellen. Die Angst treibt einem das Adrenalin in die Adern und lässt zunächst nicht ans Einschlafen denken. Warum ich immer wieder wild zelten gehe? Das habe ich oben bereits beschrieben.
Auf einem blauen Elefanten

Auf einem blauen Elefanten

Christoph D. Brumme, Schriftsteller aus Berlin, fuhr 8353 Kilometer mit dem Fahrrad von Berlin nach Saratov an die Wolga. Und zurück. Unterwegs sprach er seine Gedanken und Erlebnisse in ein Diktaphon. Zuhause fasste er sie zu einem Buch zusammen. <img src=“http://radwanderer.blogsport.de/images/thumb-brumme_rad_sch.jpg“ alt=““ /> Seine Tour führte Christoph D. Brumme durch Polen, die Ukraine und Russland. Länder, vor denen ihn Freunde wiederholt gewarnt hatten. Ich habe mir vor meiner Radtour durch Rumänien ähnliches anhören müssen: „Das ist doch total gefährlich, am Ende landest du noch tot im Straßengraben.“ Ich bin damals tatsächlich im Straßengraben gelandet, allerdings nur für eine Nacht. Christoph D. Brummes Tagesetappen enden meist in idyllischer Natur in seinem Zelt, wo er die Begegnungen des Tages Revue passieren lässt. Schon bald genießt er sein freies Leben: „Ich verstehe die Russen immer besser, die sagen: Wir leben im freieren Land, wir können überall ein Feuer machen und Schaschlik braten. Die Natur gehört uns.“ Trotzdem muss sich der deutsche Autor immer wieder wehren: Gegen Einladungen, die nach Geschmack der Gastgeber mit einem mehrtägigen Aufenthalt verbunden werden sollten. Oder gegen Lunchpakete, die seine Packtaschen nicht fassen konnten. Und natürlich gegen das alltägliche Angebot an Wodka. Aber so richtig mitgerissen hat mich Christoph Brummes Reiseroman dann ab dieser Passage: „Die Bushaltestellen in der Ukraine sind etwas Besonderes. Sie werden zwar meist aus standardisierten Betonplatten zusammengesetzt, ihre Oberflächen aber mit farbigen Steinen, mit großflächigen Mosaiken, beklebt.“ Ich bin ein großer Freund von Bushaltestellen oder wie man in Hessen sagt, Buswartestellen. Und eigentlich dachte ich, der Einzige! Auf vielen Radtouren haben sie mir Unterkunft gewährt, mich vor den Unbillen des Wetters bewahrt und waren mir so manches Mal wie ein zweites Zuhause. Irgendwann habe ich dann angefangen sie zu sammeln. Wie dieses feine Exemplar aus Knezmost, Tschechien: Es zeichnet sich zwar nicht durch ein großflächiges Mosaik aus, aber seine zartblaue Farbgebung und die feinen Rundungen haben mich schon von weitem überzeugt. Doch auch in Tschechien arbeitete man mit Mosaiken. Wie hier in Domoslavice: Die ukrainische Entsprechung scheint aber doch noch etwas eindrucksvoller in der Landschaft herum zu stehen. Zum Beispiel „Die Bushaltestelle bei Archangelskoje: In keinem guten Zustand, aber architektonisch erstaunlich, mit einem Raum für den Fahrkartenverkäufer. Über der Klappe und dem Fenster schweben drei Mosaik-Schwäne, darunter rasen drei schnittige Mosaik-Autos. Die Fahrer, geduckt und der Kurve angepasst, scheinen sich ein Wettrennen zu liefern. Sehr subversiv, dieses Motiv, für die sovjetische Zeit, ein Ruch dekadenter Bürgerlichkeit ist nicht zu verkennen.“ Und weiter begeistert sich der Berliner Autor: „7.46 Uhr schon ein Morgengruß, ein blauer Palast mit Pfau, Fisch und Schafsbock. 8.01 Uhr, in Tschotorisk, zeigt die gesamte Mosaikfläche galoppierende Wildschweine, der Eber voran, die Bache beschützt die Frischlinge. 8.23 Uhr, in Novosilki (keine Häuser, nur Kiefernwald), warten steinerne Damen anmutig auf Fahrgäste, die nicht kommen werden. 8.47 Uhr, in Kamjanucha, expressionistische Vielfalt, geometrische Formen, hier dreht sich die Fläche in sich selbst. 9.34 Uhr, in Serevynivka, wieder vor Kiefern und Birken, ein Mosaik mit Eule, Uhu und zwei Schwänen, in blassem Blau.“ Ich glaube ich muss dringend in die Ukraine bevor JCDecaux diese Schmuckstücke durch Einheitskisten ersetzt! Wobei ich es auch manchmal etwas schlichter mag: Ein unterhaltsames Buch, das mir zwei Dinge wieder einmal vor Augen führte: 1. Meine nächste Fernradtour führt durch Russland und/oder die Ukraine. und 2. „Das Radfahren ist die erste Tätigkeit in meinem Leben, die ich ohne Zweifel als sinnvoll empfinde.“ <a href=“http://www.honigdachs.com/2010/02/28/diashow1/“>Christoph Brummes Blog (Mosaike ohne Ende)</a> <a href=“http://www.christophbrumme.de/“>Seine Website</a>