Hans Blickensdörfer – Salz im Kaffee
1978 – Stolberg, Rheinland im Hause der Familie Hermes: Der Radwanderer feiert seine Kinderkommunion. Eine weiße Kerze in der Hand steht er in seinem dunkelblauen Cord-Anzug irgendwo auf dem Donnerberg und weiß noch nicht genau, was auch immer für ein Glück dieser Tag für ihn bereit halten wird. Alle sind sie gekommen, Opa und Oma, natürlich Eltern und Schwestern und sogar Onkel Willi. Hastig trennt er das wertvolle Geschenkpapier von einem viel zu klein erscheinenden Inhalt. Er ist klein und es ist ein Schlüssel. Vater Bruno sieht das Pipi in seinen Augen und greift mit einem Hinweis auf den Schuppen ein. Gerade noch rechtzeitig. Halb schluchzend, halb lachend stürmt der Radwanderer aus dem Wohnzimmer am Sandkasten vorbei in den neben dem Haus gelegenen Schuppen. Es ist ein Prophete, ein echtes Prophete! Metallicgiftgrün, 24 Zoll, 10 Gang! Schon sitzt er im Sattel, jagt die Josefstraße entlang, ignoriert die Vorfahrt an Ilex- und Edelweißweg und fliegt am rechts der Straße gelegenen Spielplatz vorbei. Er versucht die ungewohnt vielfältigen Schaltoptionen mit der für das Fahrradfahren üblichen Tretbewegung in Einklang zu bringen. Schwierig, aber es geht! Schließlich haben sie das alle gelernt – Coppi, Mercx, Thurau und natürlich der unvergessene Bud. 1978 – Stuttgart, Sportredaktion der Stuttgarter Zeitung: Der Redakteur Hans Blickensdörfer hat sein Tagewerk getan. Einen weißen Kuli kauend sitzt er in seinem Bürostuhl und weiß noch nicht genau, wohin ihn die Geschichte mit Bud heute führen wird. Entspannt lehnt er sich zurück. Alle anderen sind bereits gegangen. Das Redaktionsbüro dünstet die Hektik des vergangen Tages. Er zündet sich eine Zigarette an, legt den Kuli beiseite und haut eine erste Idee in die Tasten. Schnell findet er seinen Rhythmus und erstürmt mit Bud den Tourmalet. Und das nach diesem Ruhetag: Zunächst hatten sie Bud des Dopings überführt, ihn von der Tour ausgeschlossen und eine Karriere schien ihr frühes Ende gefunden zu haben. Doch Bud war vor dem Rummel geflüchtet und hatte bei der baskischen Bauernfamilie Iribar Kraft und Mut geschöpft. Schließlich wurde klar, dass Bud betrogen worden war, und als er dem Tross der Journalisten am Abend des Ruhetages gegenüber trat, war er längst rehabilitiert. Dass er den Tourmalet am nächsten Tag nicht bezwingen, sondern erstürmen würde, war in diesen Minuten sonnenklar. Zumindest für Bud, seinen Manager Mercier, den Bauern Iribar und den umtriebigen Journalisten Max Kollmann. Weihnachten 2010 – Fürstenberg, Sauerland im Ferienhaus der Familie Führer: Die bezaubernde Nina hat dem Radwanderer ein Buch geschenkt. „Salz im Kaffee“ von Hans Blickensdörfer. Er kuschelt sich in die kalten Decken des Betts. Der Kachelofen gleich nebenan bollert chancenlos gegen die winterliche Kälte an. Im Dach poltern die Marder. Er schlägt die ersten Seiten auf. Zunächst den Klappentext lesen. Oh, eher wohl ein Jugendbuch! Trotzdem liest er rein, findet seinen Rhythmus und liest durch bis auf den Gipfel. „Salz im Kaffee“ erzählt ein Jahr im Leben von Bud, der eigentlich Ernst Budzinski heißt, Bergarbeitersohn aus Dortmund ist und sich anschickt, als erster Deutscher die Tour zu gewinnen. Hans Blickensdörfer schildert jene Triumphe und Leiden, mit denen der Radsport staubige Landstraßen immer wieder in Schauplätze großer Dramen und Legenden verwandelt. Und er brilliert mit jener pointierten, hautnahen Sprache, die nun dem Radwanderer die weihnachtliche Nachtruhe raubt.. Was soll ich sagen? Ein Buch für all diejenigen, die an heißen Julinachmittagen gerne vor dem Fernseher durch Frankreich reisen. Hans Blickensdörfer – Salz im Kaffee Covadonga Verlag, Liebhaber-Edition (April 2003) ISBN-10: 3936973040 ISBN-13: 978-3936973044